Karl Mays Fiktion und die bittere Realität

Karl Mays Abenteuerromane basieren auf fiktiven Figuren und einer erfundenen Handlung, doch der zugrunde liegende Konflikt ist von realen historischen Ereignissen inspiriert. Im Buch versuchen die Apachen, den Bau der Eisenbahn durch ihre Jagdgründe zu verhindern. Nach ersten Gesprächen und der Suche nach friedlichen Lösungen eskaliert die Situation und es kommt zum Kampf zwischen Eisenbahnarbeitern und den Apachen. Was in Karl Mays Geschichte in einer beispielhaften Freundschaft voller Verständnis und Akzeptanz mündet, endete für die indigenen Völker Amerikas in einer tiefen Tragödie.

Eine Verbindung von Ost nach West – Der Bau des eisernen Pfades

Der Weg von Osten nach Westen war in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts eine mühselige und gefährliche Reise, die oft Monate dauerte. Um die Besiedlung des Westens zu beschleunigen, wurde der Bau einer Eisenbahnverbindung beschlossen. Im Jahr 1865 begannen die Union Pacific Railroad und die Central Pacific Railroad gleichzeitig von zwei Seiten mit dem Bau der insgesamt 2800 Kilometer langen Strecke.

Ein sechsjähriger Wettlauf gegen die Zeit begann, der am 10. Mai 1869 in Utah endete, als die beiden Strecken aufeinandertrafen und der berühmte goldene Nagel in die letzte Eisenbahnschwelle eingeschlagen wurde. Von nun an war es möglich, Menschen und Waren in nur sieben Tagen von Ost nach West zu transportieren. Züge erreichten damals eine Geschwindigkeit von bis zu 55 Kilometern pro Stunde. Die luxuriösen Salonwagen waren zwar teuer, aber sehr beliebt. Selbst die stickigen und überfüllten Wagen der dritten Klasse waren für viele eine Erleichterung im Vergleich zu den monatelangen Strapazen vorher.

Der Bau der Eisenbahn – Eine harte und gefährliche Arbeit

Der Bau der Strecke stellte die Arbeiter vor enorme Herausforderungen. Abenteurer, ehemalige Soldaten, Sklaven, enttäuschte Goldsucher und Einwanderer aus aller Welt schufteten unter extremen Bedingungen. Tunnel mussten in Berge gesprengt, Brücken über tiefe Schluchten gebaut und unwegsame Landschaften durchquert werden. Viele Arbeiter verloren dabei ihr Leben.

In den schnell errichteten Zeltstädten entlang der Strecke herrschten katastrophale hygienische Verhältnisse. Die Arbeiter waren Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert und hatten kaum Möglichkeiten zur Erholung. Was für die Eisenbahnarbeiter ein lebensgefährliches Unterfangen war, wurde für die indigene Bevölkerung Nordamerikas zu einem Desaster.

Der hohe Preis des Fortschritts

Die Eisenbahngesellschaften wurden massiv vom amerikanischen Staat unterstützt, der ihnen große Landflächen entlang der Bahnlinie überließ. Dieses Land war jedoch bereits von indigenen Völkern bewohnt, deren Lebensgrundlagen durch den Bau der Eisenbahn zerstört wurden. Die Bisonherden, die für viele Stämme lebensnotwendig waren, wurden dezimiert und nahezu ausgerottet. Eingeschleppte Krankheiten forderten unzählige Todesopfer.

Die indigenen Stämme wurden systematisch verdrängt, belogen und mit falschen Versprechungen in kargere Gebiete umgesiedelt. Während einige Stämme verzweifelt Widerstand leisteten, waren sie den besser ausgerüsteten Truppen der US-Armee hoffnungslos unterlegen. Zwei bedeutende Ereignisse aus dieser Zeit stechen besonders hervor: die Schlacht am Little Bighorn (1876), bei der eine Allianz von Sioux, Arapaho und Cheyenne die US-Kavallerie besiegte, und das Massaker am Wounded Knee (1890), das den endgültigen Bruch des Widerstands markierte.

Heute wie damals – Das Erbe der Vergangenheit

Heute leben etwa 6,8 Millionen indigene Menschen in den USA, was rund 2 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Viele von ihnen leben in Reservaten, die oft von Armut und mangelnden Chancen geprägt sind. Lange Zeit galten indigene Völker als fremde Nationen innerhalb ihres eigenen Landes und wurden von grundlegenden Rechten ausgeschlossen.

Erst im Jahr 1934 wurde ihnen offiziell das Recht zugestanden, ihre Traditionen, Rituale, Sprachen und ihren Glauben zu pflegen. Dennoch sind Diskriminierung und soziale Ungleichheit bis heute ein Teil ihres Alltags. Weltweit leben etwa 370 Millionen Menschen indigener Herkunft in über 70 Ländern, viele von ihnen unter ähnlich prekären Bedingungen.

Karl Mays Geschichten, so fiktiv sie auch sein mögen, erinnern uns daran, dass Fortschritt oft seinen Preis hat und dass die Werte von Freundschaft, Respekt und Gerechtigkeit universelle Gültigkeit besitzen.

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